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4. Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen im Gesundheitswesen

Ein gedolmetschtes Arzt-Patienten-Gespräch ist nicht unbedingt besser oder schlechter als ein Gespräch zwischen Arzt und Patient ohne Dolmetscher, es ist anders. Dieses Anderssein ist eine Herausforderung und schafft neue oder andere Kommunikationsmöglichkeiten.

Hintergrund
Medizinische Versorgung für Patientinnen und Patienten ohne ausreichende Sprachkenntnisse des Landes, in dem sie leben, verursacht in Krankenhäusern ernsthafte Probleme – für die PatientInnen, für den Arbeitsablauf und für das Geben bzw. Bekommen zutreffender Diagnosen.

In Deutschland zum Beispiel lösen Krankenhäuser und Arztpraxen die sprachlichen Probleme mit ihren PatientInnen nur sehr selten mit Hilfe professioneller, auf medizinische Fragen spezialisierte Dolmetschdienste. Und die Notwendigkeit zweisprachiger medizinischer InteressenvertreterInnen (wie sie im Kapitel Die Rolle des mehrsprachigen Advocacy-Service in der Kommunikation beschrieben werden) wird noch überhaupt nicht richtig wahrgenommen.

Die überwiegende Mehrheit der Gesundheitsversorger bewältigt ihre sprachlichen Probleme spontan mit Hilfe von Ad hoc-DolmetscherInnen, d.h. zweisprachigen MitarbeiterInnen mit medizinischem Hintergrundwissen oder auch ohne dieses, bzw. mit Hilfe von Verwandten der PatientInnen. Diese Ad hoc-DolmetscherInnen ermöglichen durch ihre spontanen Übersetzungen die Kommunikation und versuchen zwischen dem medizinischen Personal und den PatientInnen zu vermitteln. Dadurch leisten sie im Gesundheitswesen aus dem Stand heraus eine wertvolle Kommunikations- und Integrationsarbeit.

Doch nicht immer gelingen diese sprachlichen Feuerwehreinsätze. Ad hoc-Dolmetschen birgt gewisse Risiken und führt nicht immer zum gewünschten Erfolg (wie im Kapitel Ad hoc-Dolmetschen in Krankenhäusern dargelegt). Missverständnisse und verlängerte Gesprächszeiten im Kommunikationsdreieck Arzt – Patient – Dolmetscher behindern die Arbeitsabläufe, den PatientInnen entstehen Nachteile, da die Untersuchungsergebnisse nicht zufrieden stellend vermittelt werden. Oft sind die Ad hoc-DolmetscherInnen überfordert mit den spontanen Dolmetschaufgaben, mit der zusätzlichen Arbeit, die es zu bewältigen gilt, und den Inhalten, die im Gespräch behandelt werden. Doch trotz dieser Probleme wird Ad hoc-Dolmetschen weiterhin eine große Rolle in der Gesundheitsversorgung von MigrantInnen spielen. Wie kann diese Situation verbessert werden?

Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen
Die Hauptforderung bleibt natürlich die nach einer professionellen, zweisprachigen Interessenvertretung für alle PatientInnen, deren Sprachkenntnisse in der Landessprache nicht ausreichen. Dennoch muss der realen Tatsache des häufigen Ad hoc-Dolmetschens Rechnung getragen und der Versuch unternommen werden, darin einen Mindestqualitätsstandard zu garantieren. Wo immer das möglich ist. Möglich und realistisch ist das bei der Gruppe von Ad hoc-DolmetscherInnen, die relativ leicht zu erreichen sind: medizinisches Personal in Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen, also Krankenschwestern, Krankenpfleger, medizinisches Verwaltungspersonal etc.

Fortbildungen für zweisprachiges Krankenhauspersonal, das als Ad hoc-DolmetscherInnen zum Einsatz kommt, ebenso wie für diejenigen, die mit DolmetscherInnen zusammenarbeiten (z.B. ÄrztInnen oder KrankenpflegerInnen), sind notwendig, um gedolmetschte Gespräche zu verbessern, um Vorteile, die sich aus einem Drei-Parteien-Gespräch ergeben können, zu nutzen und um das Thema Mehrsprachigkeit im allgemeinen ins Zentrum des Interesses und der Reflektion zu rücken. Außerdem werden gut ausgebildete Ad hoc-DolmetscherInnen ihre eigene sprachliche Leistung besser wertschätzen und selbstbewusster entsprechende Anerkennung bei KollegInnen und Vorgesetzten einfordern.

Die Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen im Gesundheitswesen umfasst sprachliche Kenntnisse ebenso wie (trans-)kulturelle und bezieht den praktischen Hintergrund beider Seiten (der Ad hoc-DolmetscherInnen ebenso wie den des medizinischen Personals) mit ein. Gleichzeitig sind die Fortbildungen Forschungsfeld. Es wird analysiert, wie gedolmetschte Dialoge zwischen ÄrztInnen und PatientInnen funktionieren – und zwar aus einer praktischen ebenso wie aus einer sprachlichen und kommunikationstheoretischen Perspektive. Zusätzlich werden die Bedarfe nach weiteren Fortbildungen für Ad hoc-DolmetscherInnen und Krankenhauspersonal ermittelt.

Methodischer Ansatz (“Jeder Mensch ist ein Experte”) und Inhalte
Grundlage der Fortbildung sind die Erfahrungen, die alle Ad hoc-DolmetscherInnen im Arbeitsalltag sammeln, sowie ihre Fertigkeiten, seien diese informell (wie oft die sprachlichen Fertigkeiten, z.B. die Muttersprache) oder formal (medizinisches Wissen etc.) Gegenseitiger Erfahrungsaustausch über Probleme, die im Ad hoc-Dolmetschen aufgetreten sind, und Lösungen, die in der Praxis funktioniert haben, gehören zu den Hauptinhalten der Fortbildung. Die Rolle der Seminarleitung ist vor allem die der Moderatorin des Wissens, für das die Fortbildung den Raum aufmacht.

Ausgehend von konkreten erfolgreichen und misslungenen Dolmetschsituationen der FortbildungsteilnehmerInnen wird analysiert, was richtig oder falsch lief und warum, und Empfehlungen für eine bessere Durchführung werden entwickelt und diskutiert. Um das Wissen und die Erfahrungen der Ad hoc-DolmetscherInnen mit einzubeziehen und machbare Lösungen zu erarbeiten, sind aktive und dynamische Methoden, die die TeilnehmerInnen wirklich einbeziehen, extrem nützlich, wie z.B. Rollenspiele, aber insbesondere auch das Forum Theater (siehe Kapitel Forum Theater, Kapitel 5, Kapitel 6). Die Analysen rücken die drei GesprächsparterInnen des Gesprächsdreiecks (Arzt – Patient – Dolmetscher) in den Fokus und erarbeiten ihre unterschiedlichen Beiträge zum Verlauf des Gesprächs. Aber jenseits der Rollen und Handlungen der GesprächspartnerInnen ist natürlich auch die Sprache selbst (ihre Möglichkeiten aber auch ihre Grenzen) Inhalt kritischer Reflektion.

Ich möchte an dieser Stelle nicht tiefer in die Inhalte eingehen, die im Grunde Teil aller Dolmteschfortbildungen sind, wie Dolmetschtechniken, Kommunikationsfertigkeiten und die Frage von Fachterminologie, sondern möchte zu einem anderen Punkt kommen, der besonders wichtig ist in Fortbildungen für Ad hoc-DolmetscherInnen: Empowerment.

Empowerment
Gespräche im Gesundheitswesen finden nicht in einer Art gesellschaftlichen Vakuums statt, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft, was eine Menge Fragen mit sich bringt: Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit in unserer Gesellschaft? Wie sieht es mit Hierarchien unter den verschiedenen Sprachen aus? Erfahren Ad hoc-DolmetscherInnen ihre Zweisprachigkeit als wertvolle Kompetenz oder schlägt ihnen Missbilligung entgegen, weil sie in der Landessprache z.B. einen bestimmten Akzent haben? Was bedeutet dies für ein medizinisches Gespräch, das von einem Ad hoc-Dolmetscher oder einer Ad hoc-Dolmetscherin mit Migrationshintergrund gedolmetscht wird? Die Liste dieser Art von Fragen ist natürlich nicht vollständig.

Die Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen muss solche Fragen mit berücksichtigen und die Position der Ad hol-DolmetscherInnen stärken – und zwar sowohl als GesprächsteilnehmerInnen in der gedolmetschten Situation als auch als KollegInnen und MitarbeiterInnen. In keinem Gespräch ist ein Dolmetscher (weder ein professioneller noch ein spontaner) reines Verständigungswerkzeug. Die Fortbildung hilft, die Rolle als Ad hoc-DolmetscherIn mit mehr Selbstbewusstsein auszuüben. Wie können Ad hoc-DolmetscherInnen Einfluss auf die Gesprächsbedingungen nehmen, wie – wenn notwendig – den Gesprächsverlauf mit beeinflussen, wie können sie mit der zusätzlichen Verantwortung fertig werden, aber auch: wie können sie der unausgesprochenen Erwartung, sie hätten die Pflicht, jederzeit mit ihrer Sprachkompetenz zu helfen, entgegen treten – all das sind wichtige Aspekte, über die reflektiert werden muss, und die Liste ist natürlich auch hier unvollständig.

Insofern beinhaltet die Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen unweigerlich eine Art Metaebene, die das Bewusstsein dafür schafft, dass die Frage nach sprachlicher Unterstützung im Gesundheitswesen (und nicht nur da) bzw. die Problematik Sprache in einer mehrsprachigen Gesellschaft überhaupt in mehrerlei Hinsicht auch eine politische ist:

Mehrsprachigkeit ist eine Tatsache in unseren Gesellschaften und folglich kann das Gesundheitswesen eine bestimmte Verantwortung für sprachliche Unterstützung nicht abstreiten. Zweisprachigkeit ist eine Kompetenz, unabhängig von den Sprachen, die gesprochen werden. Ad hoc-Dolmetschen ist zusätzliche Arbeit, die als solche anerkannt werden muss. Ad hoc-DolmetscherInnen müssen ihre Leistung vergütet bekommen. Fortbildungen für Ad hoc-DolmetscherInnen ist unerlässlich, um zweisprachigen MitarbeiterInnen entsprechende Dolmetschkompetenzen zu vermitteln. Das Fördern und Weiterbilden der Kompetenz Mehrsprachigkeit von MitarbeiterInnen hilft diesen, ihr sprachliches Können professioneller zur Verfügung zu stellen.

Schluss
Die Fortbildung für Ad hoc-DolmetscherInnen im Gesundheitswesen vermittelt professionelle kommunikative Fertigkeiten, die unerlässlich sind, damit auch nicht MuttersprachlerInnen eine gute medizinische Versorgung erhalten. Gleichzeitig sensibilisiert sie für die gesellschaftliche Bedeutung informeller Kompetenzen, wie Mehrsprachigkeit oder kulturelle Hintergründe. Sie unterstützt Ad hoc-DolmetscherInnen, die oft einen Migrationshintergrund haben, Vertrauen in ihre eigenen Fertigkeiten zu entwickeln – ein wesentlicher Aspekt des Empowerments. Insofern versteht sich diese Fortbildung als Teil einer politischen Debatte um Mehrsprachigkeit in Einwanderungsgesellschaften.

Literatur (u.a.):
Dagmar Domenig (ed.): Professionelle Transkulturelle Pflege. Handbuch für Lehre und Praxis in Pflege und Geburtshilfe. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, 2001.
Peter Saladin (ed.): Diversität und Chancengleichheit. Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen
http://www.ethno-medizinisches-zentrum.de/

Ortrun Kliche, May 2007