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1. Die Rolle des mehrsprachigen Advocacy-Service in der Kommunikation
Zweisprachige medizinische InteressenvertreterInnen helfen Ungleichheit und Machtunterschiede zwischen PatientInnen & MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich zu überbrücken.
Überall in Großbritannien werden MitarbeiterInnen dafür eingesetzt – ob bezahlt oder unbezahlt –, um eine Verbindung zwischen Gesundheitspersonal und PatientInnen herzustellen, weil letztere aus den unterschiedlichsten Gründen einen erschwerten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Gesundheits- und Sozialdiensten haben. Diese MitarbeiterInnen haben eine Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen, von denen „Linkworkers“ (VermittlerInnen) und „Bilingual Health Advocates“ (zweisprachige InteressenvertreterInnen im Gesundheitsbereich) wohl die gebräuchlichsten sind.
Geschichtlich gesehen nahm das Konzept von InteressenvertreterInnen für PatientInnen in den Vereinigten Staaten der 1950er und 1960er Jahre seinen Anfang, vornehmlich für Menschen mit Behinderung, Lernschwierigkeiten und psychischen Erkrankungen. In Großbritannien gab es die ersten PatientenfürsprecherInnen für ähnliche Gruppen sowie zusätzlich für ältere Menschen als Versorgungsgruppe, für die InteressenvertreterInnen eingesetzt wurden.
In den frühen 1980ern kamen das Konzept und die Praxis des zweisprachigen Advocacy-Service für Menschen aus MigrantInnen-Communitys auf, die andere Sprachen sprechen und andere kulturelle Traditionen haben als die MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich. Diese Praxis begann 1987 in der Geburtshilfe in Krankenhäusern und wurde dann auf die primäre Gesundheitspflege und andere Dienste auf Gemeindeebene ausgeweitet.
Zweisprachiger Advocacy-Service = Dolmetschen?
DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen gibt es seit Jahrhunderten, doch der zweisprachige Advocacy-Service ist eine relativ neue Praxis, die sich dazu entwickelt, als eigenständiger „Beruf“ anerkannt zu werden. Zweisprachige VermittlerInnen/InteressenvertreterInnen, DolmetscherInnen, Community-DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen sind alles Bezeichnungen für zweisprachige InteressenvertreterInnen, die in den meisten Fällen eingesetzt werden, um den NutzerInnen (sowohl aus MigrantInnen-Communitys als auch aus Gesundheits- und Sozialeinrichtungen) sprachliche Unterstützung zu bieten.
Obwohl diese Begriffe flexibel verwendet werden, da mit dem Einsatz solcher DienstleisterInnen, “sprachliche und kulturelle Barrieren“ überwunden werden sollen, unterscheiden sie sich doch wesentlich voneinander, sowohl in ihrer Funktionsweise als auch im Problemlösungsansatz. Desweiteren werden die Begriffe und Praxen von den beteiligten Parteien – also den Angehörigen verschiedener Communitys ebenso wie den Gesundheits- und Sozialdiensten – nicht immer in gleicher Weise verstanden und angewandt, so wie dies bei den meisten neuen Konzepten der Fall ist, die sich noch in der Entwicklung befinden. In diversen relevanten Kreisen werden Diskussionen und Debatten geführt, um diese Konzepte und ihre Definition in Bezug auf zweisprachige Kommunikation klar einzugrenzen. Bisher haben diese Diskussionen noch nicht zu einem gemeinsamen Verständnis der einzelnen Begriffe geführt, aber dennoch dazu beigetragen, die Vielschichtigkeit der damit verbundenen Probleme herauszuarbeiten. Bei der Anwendung solcher dynamischer Konzepte ist dies absehbar, da sie auf äußerst unterschiedliche Weise angewendet und verstanden werden können, je nachdem, wer sie für welchen Zweck einsetzt.
In der Regel arbeiten DolmetscherInnen nach der Vorgabe, sich auf die sprachliche Unterstützung zu beschränken; darüber hinaus dürfen sie sich nicht einmischen, vor allem, wenn sie erleben oder beobachten, dass ihre KlientInnen oder Communitys diskriminiert werden.
Ein/e zweisprachige/r InteressenvertreterIn hingegen arbeitet in einem Rahmen, der es ihm/ihr ermöglicht, im Interesse, jedoch in Zusammenarbeit mit ihren KlientInnen Verhandlungen zu führen und bei Bedarf Diskriminierungen anzusprechen. InteressenvertreterInnen können unabhängig vom medizinischen Personal agieren und sind daher in erster Linie ihren KlientInnen und Communitys verpflichtet. Diese Art von qualitativer Intervention bringt das Gesundheitspersonal und seine PatientInnen auf eine Ebene, auf der beide die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Ergebnisse in der Behandlung verhandeln können.
Die Aufgaben von InteressenvertreterInnen:
Zweisprachige InteressenvertreterInnen im Gesundheitsbereich sind ausgebildete Fachleute, die
- im Interesse ihrer PatientInnen handeln und diese darin unterstützen, den MitarbeiterInnen im Gesundheits- und Sozialbereich ihre Bedürfnisse zu vermitteln;
- dem Gesundheitspersonal helfen, die von den PatientInnen genannten Symptome wirklich zu verstehen;
- die sprachliche und kulturelle Kommunikation erleichtern;
- PatientInnen über das Angebot von Leistungen und Optionen informieren;
- mit einzelnen PatientInnen oder Gruppen von PantientInnen arbeiten;
- dazu beitragen, Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern.
Zweisprachige InteressenvertreterInnen im Gesundheitsbereich erfüllen ihre Aufgaben auf vielfältige Weise, zum Beispiel durch:
- Information von MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich über ihre Kultur und ihren Hintergrund, die sozio-ökonomischen Bedingungen und Pflegebedürfnisse ihrer PatientInnen und Communitys,
- Unterstützung von PatientInnen beim Arztbesuch durch Übersetzen und indem sie erklären, was warum passiert,
- Information der PatientInnen über mögliche Optionen bei der Behandlung ihrer Erkrankung,
- Ermunterung ihrer PatientInnen, Fragen zu stellen und Sicherstellung, dass deren Bedürfnisse und Anliegen berücksichtigt werden,
- Information von PatientInnen über ihre Rechte innerhalb des Systems und seiner Institutionen,
- Infragestellen von Praxen innerhalb des Systems, die ihre KlientInnengruppe diskriminieren; Infragestellen von institutionalisiertem Rassismus oder sogar rassistischen Einstellungen und Handlungen von Einzelpersonen,
- Unterstützung der Entwicklung und Verbesserung der Leistungen und des Systems durch stetiges, offenes Feedback der PatientInnen und ihrer Communitys.
Prinzipien des Advocacy-Service
Obwohl noch immer an einer systematischen Struktur gearbeitet wird, hat die Erfahrung gezeigt, dass es eine Reihe von Prinzipien gibt, die der Bereitstellung des Advocacy-Service zugrunde liegen. Die Prinzipien der Interessenvertretung im Gesundheitswesen ähneln im wesentlichen denen im juristischen Bereich – grundsätzlich sind InteressenvertreterInnen dazu da, die Interessen der PatientInnen gegenüber den Gesundheitsdiensten zu vertreten. Daher sind einige der Grundprinzipien der Interessenvertretung, einen „patientenorientierten“ oder „patientengeleiteten”, nicht wertenden und vertraulichen Service zu bieten, der unabhängig von den medizinischen BetreuerInnen eingerichtet und geführt wird und gegenüber den KlientInnen und ihren Communitys rechenschaftspflichtig ist. Zusammen mit den Grundsätzen der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit des Service, der Schulung und Unterstützung des Personals und der Einbeziehung der NutzerInnen in die Entwicklung des Service bilden diese Prinzipien die Grundlage für die Advocacy-Service-Standards, die notwendig sind, um die hohe Qualität des Advocacy-Service zu etablieren und aufrechtzuerhalten.
Arbeitsmodelle
Da die örtlichen Bedingungen und Patientenprofile jeweils unterschiedlich sind, gibt es kein einheitliches Modell, das in jedem Zusammenhang und an jedem Ort anwendbar wäre. Die wichtigsten Modelle zu Bereitstellung des Advocacy-Service im Rahmen medizinischer Betreuung sind:
a. Serviceleistung vor Ort: Eine persönliche Interessenvertretung von Angesicht zu Angesicht findet am besten vor Ort statt, sei es im Krankenhaus, im Gesundheitszentrum oder in einer lokalen Praxis. Die Vorteile sind: Vertrautheit mit dem Service und den ServiceleisterInnen sowie mit den Communitys und Behörden vor Ort – erleichtert eine entsprechende Weiterleitung an lokale Netzwerke/Behörden, um zusätzliche Unterstützung zu bekommen –, Rufbereitschaft zu Geschäftszeiten, leicht zu erreichen und verfügbar, vor allem in Notfällen, bei Bedarf Beratung/Unterstützung zu Hause.
b. Spezifische Beratungsstunden: Dies sind in regelmäßigen Abständen (meist wöchentlich) stattfindende Beratungsstunden, in denen der Advocacy-Service an einem Service-Ort für eine spezifische Gruppe von PatientInnen angeboten wird. Die Termine werden zum Nutzen beider Parteien vorher vereinbart und können vor Ort oder außerhäusig stattfinden, also in Gemeindezentren, Moscheen, zu Hause bei den PatientInnen usw. Sind sie gut organisiert, können diese Treffen sehr kosteneffizient sein, da kostbare Zeit und Ressourcen (Betten, Medikamente, Proben usw.) dadurch gespart werden, dass KlinikärztInnen und PatientInnen effektiv kommunizieren.
c. Fachgebietsspezifischer Service: Bei diesen Beratungen wird die Unterstützung durch InteressenvertreterInnen für spezielle Fachgebiete angeboten. Die InteressenvertreterInnen sind bei einer Fachabteilung beschäftigt (z. B. Geburtshilfe, Kardiologie, Tuberkulose- oder Diabetes-Kliniken) und arbeiten nur mit den NutzerInnen und MitarbeiterInnen dieses Fachbereichs. Dadurch haben sie ein gutes Praxiswissen in Fachterminologie und ihre Vertrautheit mit dem Spezialgebiet trägt dazu bei, zwischen ihnen und den NutzerInnen Vertrauen herzustellen (sowohl den Angehörigen der Communitys als auch den MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich), während sie mit der Leistung gleichzeitig Kontinuität schaffen. In den verschiedenen Fachabteilungen kann die Rolle der InteressenvertreterInnen unterschiedlich gewichtet sein und z. B.:
- die Funktion von Gesundheitsvorsorge erfüllen (z. B. in der Geburtshilfe, Kardiologie, bei Tuberkulose, Diabetes);
- eine "Beratungs-" und Unterstützungsfunktion haben (z. B. bei HIV/AIDS oder Hämoglobinopathie) oder
- eine sehr spezialisierte Funktion wie etwa auf dem Gebiet psychischer Krankheiten haben.
Weitere Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Modelle und die diversen Probleme, die sie mit sich bringen, können in einem zukünftigen Artikel ausgelotet und diskutiert werden. Die Leistungsbeschreibung sollte die fachspezifischen Anforderungen dieser unterschiedlichen Funktionen und den Rahmen, innerhalb dessen der Service angeboten wird, angeben.
Fazit:
Der Anspruch, einen wertvollen und dringend gebrauchten medizinischen Advocacy-Service anzubieten, der wirklich im Interesse und in Zusammenarbeit mit PatientInnen funktioniert, um deren Gesundheit und Zugang zu medizinischer Betreuung zu verbessern, bringt unzählige Probleme sowohl auf individueller als auch auf institutioneller Ebene mit sich. Nichtsdestotrotz kommt der Interessenvertretung eine sehr wichtige Rolle zu, wenn jemand sich mit einer großen, komplexen Organisation konfrontiert sieht, wo die Qualität der medizinischen Betreuung sehr unterschiedlich sein kann. Wenn PatientInnen und medizinische BetreuerInnen nicht dieselbe Sprache sprechen, ist zweisprachige Interessenvertretung unverzichtbar – wenn die Versorgung von PatientInnen nicht aufgrund von Vermutungen stattfinden soll und wertvolle Ressourcen eingespart werden sollen. Sowohl den MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen als auch den PatientInnen bietet die Anwesenheit von InteressenvertreterInnen nicht nur Dolmetschleistungen, sondern auch Beistand in subtileren Bereichen möglicher Konflikte sowie Unterstützung und Hilfe im Umgang mit diesen.
Akgul Baylav