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Hintergrund
Forum Theater ist eine Form des Mitmachtheaters, eines der Elemente des “Theater der Unterdrückten.” Es wurde in Lateinamerika von Augusto Boal entwickelt, um mittels des Theaters die vorrangigen Probleme der einfachen Leute anzupacken. Was für das BICOM Projekt von besonderer Bedeutung ist, ist dass es innerhalb eines Kontextes entwickelt wurde, in dem Menschen als “Analphabeten“ bezeichnet wurden, weil sie nicht in der Lage waren, sich in einer bestimmten Sprache, in diesem Falle auf Spanisch auszudrücken. (Boal,1979).
Diese Methode wurde überall auf der Welt aufgegriffen, weiterentwickelt und angepasst. Zurzeit setzen NutzerInnen sie international und lokal (in Großbritannien) in der Gesundheitsförderung, im Entwicklungstheater, bei Community-Arbeit und Entwicklung, Gefängnisarbeit, Gesundheitsarbeit, Theater in Bildung (TIE) und Schule, bei der Drogen- und HIV-Aufklärungsarbeit, in Beratungsprojekten und vielen anderen Bereichen ein. Sie hat sich in mehrere Richtungen verzweigt – wobei diese oft miteinander verwoben sind – das Legislative Theater (Politikgestaltung), Regenbogen der Wünsche (therapeutisch) und Forum Theater (pädagogisch). In diesem Kontext wird Bildung im Sinne Paolo Freires verwendet – Bildung als Befreiung (Freire, 1972).
Theorie
Forum Theater greift explizit auf Theorien zu Theater und Bildung zurück. Bewusst oder (häufiger) unbewusst greift es auch Theorien zu politischer Entscheidungsfindung und Veränderungsgestaltung auf.
Es gibt mehrere Grundgedanken:
Unterdrückung
Boal stellt Überlegungen drüber an, wie Menschen weder frei noch äußerlich unterdrückt sein können. Nachdem er die offensichtliche, physische Unterdrückung in Brasilien gesehen hatte, bemerkte Boal:
In Lissabon, in Paris tauchten Formen von Unterdrückung auf, die mir neu waren: “Einsamkeit”, die Unfähigkeit mit anderen zu kommunizieren, Angst vor der Leere ... Ich … fragte mechanisch: “Wo sind die Bullen?”
(Boal, 1995)
Die Bullen, beschloss er, waren im Kopf. Daraus entwickelten sich die therapeutischen Techniken. Das Konzept ist dem der internalisierten Unterdrückung von Frantz Fanon sehr ähnlich (Fanon,1967).
Sprache
Seit seinen ersten Experimenten in Peru und Brasilien war Boal überaus bewusst, dass Sprache ein Werkzeug ist, welches dazu eingesetzt werden kann, Machtverhältnisse zu untermauern oder zu verändern. Boal hat die bildliche Ebene und die Fotografie eingesetzt, um die Beschränkungen von Sprache zu überwinden. Er sagt: „... Durch das Erlernen einer neuen Sprache erwirbt eine Person eine neue Art, die Realität zu erkennen und diese Erkenntnis an andere weiterzugeben…“ (Boal,1979).
Umdeutung
Anders als bei Rollenspielen, bei denen eine “Rolle” gespielt wird, als gäbe es ein Übereinkommen darüber, wie die Rolle verstanden wird, setzt sich Forum Theater ausdrücklich mit Konflikten auseinander. Dies entspricht Goffmans Verständnis menschlicher Interaktion (Goffman, 1986) sowie Schon und Reins Verständnis politischer Kontroversen (Schon und Rein, 1994).
Die Techniken der Umdeutung gehen auf Bertolt Brechts Tradition zurück, in der das Vertraute verfremdet wird – der Verfremdungseffekt.
Reflektion
Paolo Freires Bildungsansatz beruhte darauf, dass das Lernen in einem Prozess der Selbstreflektion aus den Lernenden heraus entstehen sollte, statt aus der „Wissensbank“ eines „Experten“ (Freire, 1972). Das Forum Theater entstand während der Arbeit mit Freire, als eine Zuschauerin auf die Bühne trat, nachdem die SchauspielerInnen es nicht geschafft hatten, das Bild auf die Bühne zu bringen, das sie sich vorstellte. Der Übergang vom Zuschauer zur Mitwirkung als „Zuschauer“ ist wichtig. Die Vorstellung, dass Reflektion mehr ist, als ein mechanischer Prozess, gehört ebenfalls zur Managementtheorie (Schon, 1991).
Zwar ist dies nicht explizit ein Teil von Boals Theorien, doch Schons Unterscheidung zwischen „angenommener Theorie“ – was Menschen denken, denken zu müssen – und „angewandter Theorie“ ist äußerst nützlich.
Im Forum Theater werden vor allem zwei Techniken eingesetzt, um dies zu erreichen: Extrapolation alltäglicher Erfahrungen in die Fantasie und ein uneingeschränkter Theaterkontext sowie die Verwendung von Metaphern. Auch dies deckt sich wieder mit der Managementtheorie (Morgan, 1997).
Wandel
Umdeutung und Reflektion werden im Forum Theater miteinander verbunden, um die Realität (neu) zu gestalten (Berger und Luckmann,1972). Die Vorstellung, dass kleine oder alltägliche Ereignisse viel größere Veränderungen „bewirken“ können, wird von zeitgenössischen Autoren geteilt, die zum Management von Organisationen und zu Veränderung schreiben (Morgan, 1997). “Bewegung und Wandel“ haben eine viel längere Geschichte (die bis auf Heraklit zurückgeht) und finden eine breitere Anwendung in der Theorie der Physik (Quantenmechanik), mit der Vorstellung, dass kleine Veränderungen sehr viel größere in Gang setzten können, sowie in der post-darwinistischen Biologie, mit der Vorstellung von Systemen, die nicht von ihrer Umgebung zu trennen sind – Ökologie oder Autopoiesis.
Die Techniken des Forum Theaters zur Förderung von Wandel beinhalten oft kleine Veränderungen in dem, was jemand tut oder sagt, was die Veränderung eines Gedankengangs oder einer Handlung in Gang setzt.
Die Praxis
Eine typische Session beginnt mit Übungen und Spielen, um einen spielerischen, kreativen Zugang zu einem möglicherweise ernsten Problem zu ermöglichen. Die Gruppenmitglieder bereiten ein szenisches Spiel oder eine Reihe von Bildern oder lebenden Bildern zum Thema vor, welches sie interessiert bzw. ihnen wichtig ist. Wenn die Arbeit einem Publikum gezeigt oder innerhalb der Gruppe bearbeitet wird, sind alle dazu aufgerufen, sich einzumischen, um die Situation zu verändern oder die Probleme zu lösen. Es ist eine Form des Theaters, die gänzlich durch Beteiligung bestimmt und entwickelt wird.
Bei einer klassischen Forum-Session wird die Hauptfigur in einem Szenario, jene, die die Gruppe repräsentiert, von ZuschauerInnen aus dem Publikum ersetzt. So wechselt man sich darin ab, in den Schuhen einer anderen Person zu stecken und das Leben mit ihren Augen zu sehen. Dies wird von Boal als „Pluralisation” bezeichnet und ist ein zentrales Element in den reflexiven Prozessen des Forum Theaters und des Theaters der Unterdrückten in ihrer Gesamtheit.
Die „ZuschauerInnen” proben oder üben die Veränderung ein, indem sie die alternativen Handlungsmöglichkeiten ausprobieren, die sich dem Protagonisten des Stückes eröffnen, und übertragen diese Erfahrung in ihren Alltag.
Ein Moderator leitet die Session, er wird zum “Joker” des Forums, zum Steuernden oder Mediator.
„Die Natur der Gesellschaft spiegelt sich in ihren kleinsten Zellen wider. Die großen Themen sind in den kleinsten persönlichen Themen eingeschrieben." (Augusto Boal.)
Forum Theater im Bicom-Projekt wird an anderer Stelle beschrieben.
Frances Rifkin & John Eversley
Bibliografie
Berger, P and Luckmann T (1972) The social Construction of Reality. Penguin.
Boal, A (1979) Theatre of the Oppressed Pluto
Boal, A translated by Jackson, A (1995) Rainbow of Desire, Routledge.
Fanon, F (1967) Black Skin White Masks. Grove Press, New York.
Freire, P (1972) Pedagogy of the Oppressed. Penguin
Goffman, E (1986) Frame Analysis. Northeastern University Press.
Morgan, G (1`997) Images of Organization. Sage.
Schon, D (1991) The Reflective Practitioner. Avebury.
Schon D and Rein M (1994) Frame Reflection – Toward the Resolution of Intractable Policy Controversies. Basic Books.