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3. Ad hoc-Dolmetschen in Krankenhäusern

Was ist ad hoc-Dolmetschen?
Beginnen wir mit einem konkreten Fall: Ein türkischstämmiger Patient muss wegen Herzproblemen ins Krankenhaus. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland und spricht Deutsch gut genug für seine täglichen Angelegenheiten, ein Krankenhaus hat er jedoch noch nie besucht. Während des Krankenhausaufenthaltes bekommt er viel Besuch von seiner Familie. Seine Söhne sprechen beide recht gut Deutsch, da sie in Deutschland aufgewachsen sind. Während die Krankenhausangestellten anfangs die geringen Deutschkenntnisse des Patienten ignorieren konnten, wird das Sprachproblem im Verlauf des Aufenthalts immer bedeutender, und hier kommen die Söhne ins Spiel: sie erklären dem Vater Behandlungsschritte, Diagnosen oder medizinische Risiken. Nach kurzer Zeit beginnen die Ärzte, Verabredungen mit den Söhnen des Patienten zu treffen, wenn sie wichtige Angelegenheiten mit ihm zu besprechen haben. Die Söhne werden also schrittweise zu Dolmetschern, ohne dass sie selbst oder die anderen Beteiligten besonders darüber nachdenken. Sie nutzen einfach ihre sprachliche Kompetenz, um ihrem Vater zu helfen. Möglicherweise tun sie dies schon seit ihrer Kindheit und halten es für das Normalste der Welt. Ihre Rolle jedoch verändert sich: sie sind nicht mehr allein als Familienmitglieder im Krankenhaus, sondern leisten einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren des Krankenhauses – ohne sie wäre die Versorgung dieses Patienten deutlich komplizierter und, aufgrund der Kommunikationsprobleme, anfällig für Fehler. Ad hoc-Dolmetschen ist also typischerweise die spontane Beteiligung von Personen mit Sprachenkenntnissen an der Kommunikation mit Patienten, die nur über geringe Deutschkenntnisse verfügen. Das können Angestellte des Krankenhauses, Angehörige der Patienten, oder auch andere Patienten mit mehrsprachigem Hintergrund sein. Ad hoc-Dolmetscher werden für ihre Tätigkeit nicht bezahlt, und oft wird das Dolmetschen sogar als ihre moralische Pflicht angesehen – von ihnen selbst und von anderen. Einige Krankenhäuser haben Listen mit Angestellten, die zum Dolmetschen bereit sind, doch häufig werden die Sprachprobleme ganz und gar ad hoc gelöst – erst dann, wenn das Problem nicht mehr ignoriert werden kann, wird nach einer Lösung gesucht.

Wer sind die ad hoc-Dolmetscher?
Im Grunde genommen kann das jeder sein, der gerade in der Nähe ist und die Sprachen von Arzt und Patient spricht: eine Krankenschwester, ein Transporteur, ein Handwerker, oder ein Verwandter. Da die Kommunikationsprobleme in der Regel kurzfristig auftreten, wird nicht so sehr auf die kulturellen und sprachlichen Hintergründe der ad hoc-Dolmetscher geachtet. Da dolmetscht dann schon mal ein Portugiese für einen Spanier, weil der Arzt davon ausgeht, dass sich Portugiesen und Spanier problemlos unterhalten können. Das ist zwar falsch, aber solange sich niemand beschwert, sind alle Beteiligten davon überzeugt, dass es ein gutes Gespräch war.

Ist ad hoc-Dolmetschen gut oder schlecht?
Das kommt darauf an. Wie der Name schon sagt, sind ad hoc-Dolmetscher nicht auf ihre Aufgabe vorbereitet und bekommen dafür auch kein Geld. Die Tätigkeit ist also nicht mit einer professionellen Dienstleistung zu vergleichen; es gibt keine Standards, keine Ausbildung, oder irgendeine institutionelle Vorbereitung. Da jedoch Kommunikationsprobleme nicht gerade selten auftreten, kann es passieren, dass einzelne ad hoc-Dolmetscher aufgrund der ständigen Praxis eine nahezu professionelle Dolmetschleistung erbringen können. So lerten ich beispielsweise auf eienr Fortbildung einen ungarischen Pfleger kennen, der auch gut Russisch sprach und seit zwanzig Jahren in einem deutschen Krankenhaus für Patienten mit diesen Sprachen dolmetschte. Er zeigte ein hohes Maß an Reflexion und Erfahrung und war in seiner Praxis sicherlich kaum schlechter als mancher externe Dolmetscher. Wie dieser Pfleger haben auch viele professionelle Dolmetscher für so genannte exotische Sprachen ihre Arbeit vor allem durch die Praxis und in der Praxis erlernt. Es ist also nicht notwendigerweise so, dass ad hoc-Dolmetscher schlechter sind als externe Dolmetscher. Die Qualität ihrer Arbeit hängt davon ab, wie erfahren sie sind, welchen schulischen Hintergrund sie haben, wie motiviert sie sind und welche Form von Zweisprachigkeit bei ihnen vorliegt. Familienangehörige habe zudem oft den Vorteil, dass sie die Sprache des Patienten sprechen, also besser einschätzen können, was für den Patienten verständlich ist, und was nicht. Sucht man nach dem richtigen Dolmetscher für einen bestimmten Patienten, sollte jedoch unbedingt auch der Gesprächsanlass berücksichtigt werden und der Patienten selber gefragt werden – nicht jeder möchte Details seiner Krankengeschichte jedwedem Familienmitglied oder entfernten Bekannten offen legen. Wie für die Ärzte, ist es auch für die Patienten wichtig mit Hilfe einer Person zu kommunizieren, der sie vertrauen. Die Qualität der Dolmetschleistung ist also nicht der einzige Aspekt, der bei der Bewertung des ad hoc-Dolmetschens berücksichtigt werden sollte. Die einzige Regel, die man aufstellen kann, ist vielleicht, dass minderjährige Kinder aus ethischen Gründen nicht zu Krankenhaus-Dolmetschern gemacht werden sollten – auch wenn manche von ihnen schon seit langem als Dolmetscher für ihre Familien tätig sind und über entsprechende Erfahrung verfügen.

Was sind die größten Probleme beim ad hoc-Dolmetschen?
Ein großes Problem ist der Mangel an Vorbereitung und die fehlenden Regularien. Das beginnt schon mit dem Sprachenproblem als solchem – normalerweise kümmert sich jemand in einem Krankenhaus systematisch darum, den sprachlichen Hintergrund der Patienten abzuklären. In dem Moment, wo Migranten ins Krankenhaus aufgenommen wurden, werden sie wie andere Patienten behandelt. Sprachprobleme werden dabei nur zufällig offenkundig und die Suche nach Dolmetschern verläuft dann unsystematisch und unter Zeitdruck. Auch Ärzte sind nicht darauf vorbereitet, mit dieser Situation umzugehen, genauso, wie sie auch nicht gewohnt sind, via Dolmetscher zu kommunizieren. Und auch die Dolmetscher sind es nicht gewohnt, die Dolmetscherrolle bewusst zu übernehmen, und den Gesprächsverlauf entsprechend zu steuern. Sie unterbrechen Ärzte nicht, wenn deren Beiträge manchmal ein bisschen langatmig werden, und sie schreiten nicht ein, wenn bei den Patienten Verständnisschwierigkeiten deutlich werden. Andere typische Problembereiche sind natürlich die medizinischen Fachausdrücke und die institutionellen Hintergründe bestimmter Formulierungen. Es geht nicht nur darum, die komplizierte medizinische Fachsprache zu verstehen, sondern auch darum, die Gründe zu erkennen, die Ärzte dazu bringen, bestimmte Dinge auf eine bestimmte Weise zu sagen: die Formulierung „wir wollen eine Lungenspiegelung machen“ ist eben nicht zufällig so gewählt worden und sollte nicht mit „sie werden das gleiche wie letztes Mal noch mal machen“ übersetzt werden. Kommunikation im Krankenhaus ist also häufig auch von unscheinbaren sprachlichen Formen geprägt, deren besondere Funktion ad hoc-Dolmetscher oft nicht erkennen (können).

Sollte man ad hoc-Dolmetschen verbieten?
Nein, das ist nicht sinnvoll und auch nicht möglich. Es gibt zwar alternative Modelle (Telefondolmetschen z.B.), die jedoch das spontane Dolmetschen von Angehörigen und Angestellten nicht ersetzen können – trotz der geschilderten Probleme. Es wäre jedoch ein großer Schritt nach vorne, wenn Krankenhäuser Regeln und Verfahren entwickeln würden, um die Rechte und Bedürfnisse von sprachlichen Minderheiten besser zu berücksichtigen. Dazu gehören:

  • Die Pflicht für alle Krankenhausangestellten, Sprachprobleme von Patienten anzusprechen und nach Lösungen zu suchen, wenn diese gravierend sein sollten.
  • Fortbildungen für bilinguale Krankenhausnagestellte, die bereit sind, als ad hoc-Dolmetscher zu fungieren.
  • Fortbildungen für medizinisches Personal, damit dieses lernt, erfolgreich via Dolmetscher mit Patienten zu kommunizieren.
  • Materieller Ausgleich und moralische Anerkennung für die bilingualen Krankenhausangestellten, die als ad hoc-Dolmetscher tätig sind.
  • Entwicklung und Akkreditierung von internen Dolmetscherdiensten für Krankenhäuser, die einen hohen Prozentsatz an Patienten mit Migrationshintergrund aufweisen.

Literatur
Bührig, K. & Meyer, B. 2004. Ad hoc interpreting and achievement of communicative purposes in briefings for informed consent. In: J. House & J. Rehbein (eds.) Multilingual communication. Amsterdam: Benjamins, 43-62.
Interpreting – International Journal of Research and Practice in Interpreting, Vol.7, No.2, 2005. Special Issue on Healthcare Interpreting: Discourse and Interaction.

Bernd Meyer