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7. Welche Forschungsmethoden eignen sich zur Förderung zweisprachiger und interkultureller Kompetenzen im Gesundheitswesen?

Die Entscheidung für eine bestimmte Forschungsstrategie hängt stark davon ab, was mit der Untersuchung erreicht werden soll. Es gibt unzählige Strategien, die auf einem Kontinuum variieren können, je nachdem, in welchem Maße sie auf (politisches) Agieren abzielen und wie wichtig es dabei ist, eine Situation zu verändern. Am oberen Ende des Kontinuums steht „intensives Agieren” mit einem Fokus, der sich eher daran orientiert, einen Beitrag zur Stärkung von Menschen zu leisten und Bewusstsein zu schaffen. In diesem Sinne überschneidet sich dieses Ziel mit politischen und pädagogischen: die Grundlage ist die eines normativen Agierens oder einer bestimmten Politik. Am anderen Ende der Skala liegt die Betonung nur auf dem systematischen „Zusammentragen von Informationen”, was neutraler scheint und Ziele verfolgt wie „Näheres zu erfahren über ...”, beispielsweise den Prozentsatz inoffiziell eingesetzter DolmetscherInnen im Gesundheitswesen. Diese Information kann dazu verwendet werden, eine Situation zu verändern, doch aus wissenschaftlicher Sicht ist dies nicht das primäre Ziel. Die hier aufgeführte Liste von Strategien erhebt weder einen Anspruch auf Vollständigkeit, noch schließen sich die aufgelisteten Strategien gegeneinander aus. Innerhalb des Kontinuums gibt es unzählige Kombinationsmöglichkeiten. Die Liste soll nur einen Eindruck vermitteln, welche Strategien für BICOM von Bedeutung sein könnten.

1. Handlungsorientierte Forschung
basiert auf Kurt Lewins Feldtheorie: Erkenntnisse werden durch eine Veränderung der Situation gewonnen. Wenn man die Situation verändert, wird das Problem sichtbar (z. B. Frauenhäuser, Kindernotrufe). Wenn sich die Politik der Krankenhäuser hinsichtlich Übersetzungsleistungen ändert, können wir die Erfahrungen und Meinungen der daran beteiligten Gruppen (MitarbeiterInnen, PatientInnen, (in)offizielle ÜbersetzerInnen) beobachten und beschreiben.

2. Theaterformen
(wie das Forum Theater oder Rollenspiele) machen es möglich, sich mit komplexen sozialen Situationen auseinander zu setzen und Einzelpersonen eine Stimme zu geben, die in solchen Situationen wenig Macht haben (siehe Kapitel über Forum Theater, Kapitel 5, Kapitel 6). Sie können zur Stärkung (Empowerment) von Menschen beitragen und Bewusstsein wecken.

3. Prozessauswertung
auf der Grundlage verschiedener Datenerhebungsmethoden mit dem Ziel, eine überzeugende Beschreibung „guter Praxen“ zu liefern. Dies können pädagogische Hilfsmittel und Methoden sein, eine neue Behandlungsmethode etc. Der Prozess der Behandlung oder der Methoden wird detailliert und aus verschiedenen Perspektiven beschrieben.

4. Interventionsstudien
haben das Ziel, den tatsächlichen Effekt einer Ausbildung oder Behandlung aufzuzeigen. Wie wirken sich beispielsweise Fortbildungen von MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich in zweisprachigen oder interkulturellen Kompetenzen auf die Qualität der Verständigung zwischen MitarbeiterInnen und PatientInnen aus?

Harmsen, H. et al. (2005). The effect of an educational intervention on intercultural communication: Results of a randomised controlled trial. British Journal of General Practice, 55, 343-350.

5. Interviews
(Gruppen, Einzelpersonen) sollen der Untersuchung von Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen dienen und können auch zur Veränderung dieser Meinungen etc. beitragen. Bei der Durchführung von Gruppeninterviews (Fokusgruppen, Delphi-Methode), können die TeilnehmerInnen auch voneinander lernen, während gleichzeitig wichtige Informationen zusammengetragen werden. <

Green, J. et al. (2005). Translators and mediators: Bilingual young people’s accounts of their interpreting work in health care. Social Science and Medicine, 60, 2097-110.
Greenhalgh, T., et al. (2006). Communicative and strategic action in interpreted consultations in primary health care: A Habermasian perspective. Social Science and Medicine, 63, 1170-87.

6. Feldstudien, Teilnehmerbeobachtung
bedienen sich ebenfalls verschiedener Erhebungsmethoden, jedoch beschreibt der/die ForscherIn nur, was er oder sie beobachtet. Feldstudien werden oft in der Anthropologie eingesetzt, um Standuntersuchungen durchzuführen.

7. Beobachtungsstudien
sind ebenfalls beschreibend und finden auf der Grundlage von Diskursanalyse und Konversationsanalyse statt. Ton- oder Videoaufnahmen sowie Transkripte natürlicher Gespräche werden dazu verwendet, bestimmte Kommunikationsmuster, z. B. in interkulturellen oder zweisprachigen Zusammenhängen zu untersuchen. Danach können dann beispielsweise sprachliche Missverständnisse oder Unterschiede in den Kommunikationsmustern bei verschiedenen ethnischen Gruppen beschrieben werden.

Bürhig, K., & Meyer, B. (2004). Ad hoc interpreting and achievement of communicative purposes in briefings for informed consent. In J. House and J. Rehbein (eds.), Multilingual communication (pp. 43-62). Amsterdam: Benjamins.
Meeuwesen, L., Harmsen, H., Bernsen, R., & Bruijnzeels, M. Do Dutch doctors communicate differently with immigrant patients than with Dutch patients? Social Science and Medicine, 63, 2407-2417.

8. Umfrageforschung/Fragebögen
sollen Informationen zusammentragen, um unterschiedliche Verhaltensmuster aufzuzeigen, um Fragebögen zu entwickeln, z. B. zu kulturellen Ansichten, oder um die Qualität des Gesundheitswesens in Bezug auf die Bedürfnisse von MigrantInnen auszuwerten (Kommunikation, Einsatz von ÜbersetzerInnen, Vorurteile, Behandlungserwartungen usw., kulturelles Wissen)

Harmsen, J.A.M. et al. (2006). Cultural dissimilarities in general practice: Development and validation of a patient’s cultural background scale. Journal of Immigrant and Minority Health, 8, 115-124.

9. Epidemiologie
stellt Daten einer großen Gruppe zusammen, um Trends aufzuzeigen (sprachliche Kompetenzen, Bildung, Arbeit, subjektive Gesundheit, Erkrankungen etc.). Epidemiologie bezieht sich auf die Geschichte der Statistiken. Diese Daten können für die Förderung einer bestimmten Gesundheitspolitik von Bedeutung sein. Beispielsweise ist der Prozentsatz von MigrantInnen, die ihre eigenen ÜbersetzerInnen mitbringen, sehr hoch – was der Politik im Gesundheitswesen widerspricht (nach der man das Recht auf die Nutzung öffentlicher Übersetzungsleistungen hat).

10. Review Studien
präsentieren die neusten Entwicklungen in Bezug auf ein bestimmtes Thema, bieten eine Meta-Analyse und eine Inventur des aktuellen Wissensstands.

Mayhew, L., Eversley, J., & Harper, G. (xxxx). Neighbourhood knowledge management pilot project: Making neighbourhood knowledge accessible. London: ppre Ltd, Mayhew Associates and London Borough of Tower Hamlets.
http://www.nkm.org.uk/publish/Knowledge%20management%20pilo4%20.pdf
Schouten, B.C., & Meeuwesen, L. (2006). Culture and medical communication: A review of the literature. Patient Education and Counseling, 64(1-3), 21-34.
Flores, G. (2005). The impact of medical interpreter services on the quality of health care: a systematic review. Medical Care Research and Review, 62, 255-99.

Schlussfolgerung:
Zum Zweck der Förderung zweisprachiger und interkultureller Kompetenzen scheinen die am besten anzuwendenden Strategien jene zu sein, die sich im „Aktionsbereich” des Kontinuums befinden, vor allem Prozessauswertung (Beschreibung bester Praxen) und Bewusstsein schaffende Formen wie Fokusinterviews oder Theatermethoden. Doch auch die anderen Strategien können sich als sehr nützlich erweisen. Es kommt wie gesagt auf das Ziel des Projekts an.

L. Meeuwesen, Utrecht, May 16, 2007