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2. Die Position des Arztes/der Ärztin in mehrsprachigen Kommunikationssituationen

Auf professioneller Ebene verfolgt der Arzt/die Ärztin in erster Linie das Ziel, die richtigen Informationen einzuholen, um eine adäquate Diagnose zu stellen und dann Patientin oder Patient in einer für sie oder ihn verständlichen Weise zu beraten. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Sprache, die sowohl Arzt/Ärztin und PatientIn gut beherrschen. In diesem Zusammenhang kann Mehrsprachigkeit (sowohl des Arztes als auch des Patienten) als Vorteil angesehen werden. Häufig muss eine mehrsprachige Person zur Vermittlung eingesetzt werden, um Verständigungsschwierigkeiten zwischen Arzt/Ärztin und PatientIn zu überbrücken. Es gibt vielfältige Einsatzmöglichkeiten für DolmetscherInnen. Oft handelt es sich um ein Familienmitglied oder eine/n Bekannte/n, manchmal um einen mehrsprachigen Kollegen oder eine andere MitarbeiterIn im Gesundheitsbereich; und in einigen Ländern gibt es kostenlose professionelle Dolmetschdienste. Der Einsatz von inoffiziellen DolmetscherInnen (in der Arztpraxis meist Familienangehörige) hat seine Vorteile. Sie sind meist sofort und leicht verfügbar, was in der Praxis Zeit spart. Sie kennen den Arzt/die Ärztin und engagieren sich stark für den Patienten/die Patientin. Bei komplizierten Erkrankungen und Behandlungsverfahren oder Beziehungen kann dies jedoch auch ein Nachteil sein, so dass ein professioneller Dolmetschdienst eingesetzt werden muss. Sprache ist jedoch nicht die einzige Hürde im Kontakt und für die gegenseitige Verständigung. Der kulturelle Kontext eines Menschen bestimmt dessen Ansichten über Gesundheit und Krankheit, Erwartungen an das Gesundheitssystem ebenso wie allgemein anerkannte Kommunikationsregeln, wie sie Arthur Kleinman1 deutlich aufgezeigt hat. Bei der medizinischen Beratung in einer multiethnischen Patientenpopulation sollte also besonders darauf geachtet werden, wie über Gesundheitsfragen kommuniziert wird. Die Kommunikationsbedürfnisse der einzelnen PatientInnen sind ebenfalls unterschiedlich. Das Standardmodell für eine gute Kommunikation zwischen Patient und Arzt während der ärztlichen Beratung, welches auf der gemeinsamen Entscheidungsfindung beruht, mag für gebildete westliche PatientInnen angemessen sein, gilt jedoch nicht für alle (vor allem nicht-westliche) PatientInnen als gute, patientenorientierte Kommunikation. Dies erfordert seitens des Arztes/der Ärztin kulturelles Bewusstsein sowie eine Sensibilität für Missverständnisse und Sprachbarrieren. Das heißt, auch wenn ein Dolmetscher eingesetzt wird, entbindet dies den Arzt nicht von der Verantwortung, sich kulturelle Unterschiede bewusst zu machen. Gegenseitiges Verständnis zwischen dem Arzt/der Ärztin und einem Patienten mit Migrationshintergrund ist der Schlüssel zur Überwindung kultureller Barrieren in der ärztlichen Beratung. Erfahrungen in der Fortbildung von ÄrztInnen in multikultureller Kommunikation zeigen, dass zwar die Bereitschaft besteht, diese Hürden zu überwinden, aber gleichzeitig das Wissen und oft die Kompetenzen fehlen, um dies umzusetzen. Die Schulung von ÄrztInnen hat sich für die Verbesserung der Verständigung zwischen Arzt und Patient als effektiv erwiesen. Doch auch die PatientInnen sollten darin bestärkt werden, dem Arzt gegenüber ihre Bedürfnisse zu äußern und Missverständnisse nicht hinzunehmen. In den verschiedenen europäischen Ländern gibt es interessante Unterschiede in Bezug auf die Probleme und Lösungsansätze im Zusammenhang mit Multikulturalität und Mehrsprachigkeit, welche eingehender untersucht werden sollten. Sie erweitern den Horizont der nationalen Gesundheitssysteme und ihrer „länderspezifischen kulturellen“ Lösungsansätze. Damit hat man die Gelegenheit, kulturell vielschichtigere Lösungsmöglichkeiten zu finden. Gemeinsame internationale Lösungen können daraufhin geprüft werden, wie wirksam und effizient sie für die jeweilige lokale Situation sind. Dieser Prozess fördert einen gemeinsamen europäischen Ansatz von Multikulturalität und Mehrsprachigkeit im Gesundheitswesen und ist schon aus diesem Grund interessant.

Dr. med. Hans Harmsen

1. Kleinman, M A. Patients and Healers in the context of culture. London: University of California Press, 1980.